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Mittwoch, 25. Januar 2017

Pozzallo: Die Gemeinde verwendete die für die Migrant*innen vorgesehenen Gelder für eigene Zwecke: Um Wartungsarbeiten der Sporthalle und um Überstunden der Mitarbeiter*innen zu bezahlen


Die Staatsanwaltschaft Ragusa hat für 6 Mitarbeiter*innen der Gemeinde Anklageschrift eingereicht. Alle übten Ämter innerhalb des Aufnahmezentrums aus und jetzt werden sie der betrügerischen Handlungen in der öffentlichen Versorgung angeklagt. Zum Beispiel hatten sie überzogene Rückerstattungen angefordert: 50 tausend Klopapierrollen, wo nur 700 gekauft wurden oder Matratzen, die als Polsterung für eine Moto-Cross-Rennbahn endeten. 

Hotspot von Pozzallo. Foto: Andrea Gentile

Gelder, die für die Betreuung der Migrant*innen ausgegeben werden sollten, wurden fremd verwendet: Um die Sporthalle instand zu setzen, den Fuhrpark der Gemeinde zu reparieren und um die Überstunden des Personals zu bezahlen. Das soll sich in Pozzallo zugetragen haben, wo sechs Mitarbeiter*innen der Gemeinde – unter ihnen auch einigen höhere Beamte – Gelder, für andere Zwecke benutzt haben sollen, die für die Aufnahme der Geflüchteten verwendet werden sollten. Und zwar wurden diese Gelder in der Bilanz der Gemeinde in Sparten ausgewiesen, die nichts mit der Verwaltung der Migrationsflüsse gemein haben. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht der Hotspot*, das Identifikationszentrum, das schon öfters wegen Überfüllung und hygienischen und gesundheitlichen Missständen in die Schlagzeilen kam.

Die Untersuchungen wurden von der Staatsanwaltschaft Ragusa koordiniert und von der Finanzbehörde in den Jahren 2013 und 2014 geführt: Die Ergebnisse sind besorgniserregend. Das Aufnahmezentrum, das vorher ein Cpsa* gewesen ist, hat nicht nur unter der schlechten Führung gelitten, sondern auch unter den illegalen Machenschaften, von denen durchgeführt, die das Zentrum verwalteten. Die Angeklagten – für die die Staatsanwaltschaft schon die Anklageschrift eingereicht hat – haben alle Ämter im Zentrum inne gehabt: Angeklagt sind der Direktor, der Lagerhalter, der Buchhalter, der Verwaltungsverantwortliche und einige weitere Mitarbeiter*innen. Die mutmaßlichen Straftaten, die ihnen zu Last gelegt werden, sind betrügerische Handlungen in der öffentlichen Versorgung. 
Laut den Ermittlern sind verschiedene rechtswidrige Handlungen ausgeführt worden. Unter anderem wurden Rückerstattungen angefordert für Güter, die nie an die Migrant*innen ausgegeben wurden. Die Anfragen zur Rückerstattung wurden an die Präfektur gestellt, die als Stellvertreterin des Innenministeriums vor Ort die Aufgabe hatte, die Verteilung der Gelder zu verwalten. Ein Beispiel sind die Ausgaben für Toilettenpapier: Die Finanzbehörde hat festgestellt, dass eine Rückerstattung für 50 tausend Rollen beantragt wurde, wohingegen nur 700 Rollen gekauft worden waren. 

Die illegalen Machenschaften der Angeklagten gingen jedoch noch weiter. Die Herabsetzung der Ausgaben für die Betreuung der Migrant*innen fing direkt nach deren Ankunft an: Laut der Zeugenaussagen, die von denen am Hafen Anwesenden gesammelt wurden, hatte die Direktion des Hotspots angeordnet, dass eine geringere Anzahl an Gütern als vorgesehen ausgegeben wird. Dafür gab es sogar einen Namen „nach syrischer Art“ – das heißt die syrischen Migrant*innen werden – da sie von den Vereinbarungen zwischen den Staaten der EU bezüglich der Umverteilung der Migrant*innen profitieren – weniger Zeit in den Aufnahmezentren verbringen und benötigen daher eine geringere Anzahl an Gütern für den grundlegenden Bedarf.  

Um diese gesetzwidrigen Handlungen zu vertuschen, wurden die Rechnungsbücher vernichtet, aber die Finanzbehörde konnte die Lagerbestände rekonstruieren. Sie haben zum Beispiel herausgefunden, dass den Migrant*innen nur ein Paar Schuhe, anstelle von den vorgesehen 2 Paaren, gegeben wurde. Das zweite Paar wurde nicht gekauft, jedoch bei der Abrechnung der Rückerstattung berücksichtigt. 
Zum Schluss noch eine Anekdote, die belegt, wie die Zweckentfremdung der für die Aufnahme vorgesehenen Mitteln sich auch außerhalb der öffentlichen Verwaltung erstreckte. Es ist auch der ausschlaggebende Anfangsverdacht gewesen, der die ganze Untersuchung ins Rollen gebracht hat. Während einer Routinekontrolle ist die Finanzbehörde auf einem kleinen Laster gestoßen, der direkt vor dem Hotspot* parkte und mit einer großen Menge an Matratzen beladen wurde. Die Matratzen sollten den Migrant*innen als Bett dienen, nachdem sie Italien nach der langen Durchquerung des Mittelmeeres erreicht hatten und stattdessen wurden die Matratzen als Polsterung für eine Moto-Cross-Rennbahn in einem Park bei Scicli benutzt.


Simone Olivelli

Hotspot* - aus dem englischen Identifikationszentrum für Geflüchtete
CPSA* - Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme


Aus dem Italienischen  von A. Monteggia