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Samstag, 1. Oktober 2016

Pressemitteilung – An den kleinen, aber auch an den großen Dingen erkennt mensch wie zivilisiert ein Land ist

Man erkennt das Niveau der Zivilisation unseres Landes an dem Benehmen von manchen Postangestellten, die nach den vom Innenministerium aufgestellten Regeln bezüglich des „Umschlages“ handeln, in den der Antrag der Aufenthaltsgenehmigung von den Geflüchteten gesteckt wird, und sich als Sheriffs aufführen; oder Postfilialleiter*innen, die sich dank dieser Regeln als Kabinettsmitglieder, sogar mit Vollmacht in Immigrationsfragen, fühlen.

Hier kommen die Fakten: Eine Geflüchtete muss eine Aufenthaltsgenehmigung aus familiären Gründen beantragen. Diese Art von Beantragung erfordert die Benutzung des "Umschlages" und hier kommt – Ojemine! - die italienische Post ins Spiel. Es geht hier um eine Beantragung, wie bereits oben erwähnt, und nicht um eine Erneuerung. Das bedeutet, dass diese Frau keine vorherige Genehmigung hat. Nun gut, die Angestellten der Postfiliale  auf der Piazza Roma, die einzige in Caltanissetta, welche mit dieser schwerwiegenden Aufgabe beauftragt wurde, weigern sich, den Umschlag entgegenzunehmen, weil die Geflüchtete keine gültigen Papiere hat. 
In einer schriftlichen Notiz wird mitgeteilt, dass es sich hier um die erste Ausstellung handelt und dass es demzufolge offensichtlich ist, dass keine früheren Papiere vorhanden sein können. Das hilft aber nicht; die Angestellten sind uneinsichtig. Wir gehen zusammen mit der Frau und ihrem Kind zur Post in der Hoffnung, die Angestellten überzeugen zu können. Das hilft aber auch nicht, sie sind unnachgiebig, wie aus Stein. Wir bitten um eine schriftliche Erklärung, der Verweigerung den Umschlag entgegenzunehmen, damit die Frau nicht erneut, wie ein Spielball, vom Pian del Lago (das Ausländerbüro) zur Piazza Roma hin und her gescheucht wird. Das hilft aber immer noch nicht. Der Filialdirektor benimmt sich wie Alberto Sordi im Film Il Marchese del Grillo, nur spielt er nicht so überzeugend.
Und dann hat der Direktor eine raffinierte Idee (er hat ja die Vollmacht bezüglich Immigrationsfragen!): Die Frau geht nach Pian del Lago und beantragt dort eine 3-monatige Aufenthaltsgenehmigung und mit dieser Genehmigung kommt sie mit dem Umschlag zurück zur Post. Da wir uns in Immigrationsfragen auskennen, fragen wir ihn, ob die Frau einen Asylantrag erfinden soll, um an diese 3-monatige Aufenthaltsgenehmigung zu kommen, um damit wiederum den Umschlag abgeben zu dürfen. Der Direktor zuckt mit den Schultern. Es ist nicht sein Problem. Und schmeißt uns raus. Wir rufen die 113 an, die leitet uns weiter zur 112, die für das Gebiet zuständig ist.
Der Telefonist versucht eine Lösung zu finden. Sehr lobenswert. Wir merken an – halblaut –, dass eventuell ein Einsatzwagen intervenieren sollte um festzustellen, ob ein Fehlverhalten vorliegt, ob womöglich Unterlassung oder gar Amtsmissbrauch vorliegt. Und er antwortet sehr gelassen, dass die Logik dieses Gedankenganges perfekt ist, aber in Italien gibt es absolut keinen Platz für die Logik, und deswegen ist es gut, wie es ist.
Die Moral von der Geschichte: Die Frau und ihr Kind spazieren zum wiederholten Mal nach Pian del Lago, wo sie sehr wahrscheinlich, zum wiederholten Mal, hören werden, dass sie den Umschlag zur Post bringen müssen.
Es hat sich erneut bestätigt: Wenn man die Notfallnummer anruft, kann der Anruf mit einem sehr sizilianischen Aufruf enden: Lass uns einen Kaffee trinken gehen! Und wir haben noch Glück gehabt, weil uns nicht empfohlen wurde, wie in der Vergangenheit schon vorgekommen, einen Privatdetektiv zu engagieren. Wahrscheinlich nur nicht, weil sich diesmal alles in kompletter Offenheit abgespielt hat und die Notwendigkeit hierzu nicht bestand.

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Via Re d’Italia, 14
Caltanissetta 

Aus dem Italienischen von A. Monteggia übersetzt