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Donnerstag, 14. April 2016

„The hotspot does not affect our work“. Der Hotspot beeinträchtigt unsere Arbeit nicht

898 Personen erreichen Palermo mit dem norwegischen Schiff SIEM PILOT, das als Ausrüstung im FRONTEX Programm eingesetzt wird. Das Schiff legt gegen 18 Uhr an, doch es braucht mehr als eine Stunde, bis das Ausladen beginnt. Es stehen lange Tische der Mitarbeiter*innen von FRONTEX und der Polizei bereit und die üblichen Zelte für die Erstbehandlung (vom Roten Kreuz und der regionalen Gesundheitsbehörde) und die Caritas, die zusammen mit einer Firma aus dem Osten Siziliens zuständig für die Verteilung von Kleidung, Schlappen und Essen ist.

Es geht alles sehr langsam voran, aber es handelt sich auch um sehr viele Personen. Sie bekommen Thermodecken und gehen mit anderen orangenen, ein bisschen dickeren Decken von Bord. Niemand, aber wirklich niemand, trägt Schuhe. Nur an Land werden diese verteilt, aber es gibt nur Plastikschlappen für alle.


Zuerst gehen die Frauen von Bord, ungefähr 24 sind es. Ein Polizist der Guardia di Finanza informiert uns über die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen: 36, 28, 23. Wir gehen also davon aus, dass sie sie bereits an Bord in ethnische Gruppen unterschieden haben. Die Herkunftsländer sind: Benin, Kamerun, Tschad, die Elfenbeinküste, Eritrea (allerdings nur wenige), Gambia, Guinea Bissau, Liberia, Marokko, Niger, Nigeria, Sierra Leone, Senegal, Somalia, Sudan und Togo. Der Ansprechpartner der Finanzaufsicht teilt uns mit, dass es insgesamt 224 sind, aber die Zahlen könnten noch abweichen. Der Caritas von Palermo und Monreale werden sehr viel weniger zugeordnet, als vorhergesehen war. Am Folgetag der Ankunft berichtet die Zeitung „La Repubblica“ von 138 unbegleiteten Minderjährigen. Was ist mit den Restlichen von ihnen passiert? Wurden sie als „Erwachsene“ eingeordnet?

Wir sprechen mit einem Offizier der norwegischen Polizei, der uns einige Informationen über den Noteinsatz vom 12. April gibt, der circa 25-27 Meilen vor der lybischen Küste stattfand. Die SIEM PILOT hat eine Kapazität von 800 Plätzen, aber wenn es darum geht, zu entscheiden, ob jemandem auf offenem Meer geholfen wird oder nicht, zögern sie natürlich nicht, sie an Bord zu nehmen. Anfangs sind 224 Migrant*innen auf der SIEM PILOT aufgenommen worden, und zwar von einem Militärschiff, das sie während einer anderen Seenotsoperation gerettet hat. Daraufhin hat das norwegische Schiff noch 5 Schlauchbooten Rettung gewährleistet, um dann, innerhalb von 24 Stunden, am Abend des 13. April in Palermo anzulegen. Während der Überfahrt hat die SIEM PILOT letztendlich noch ein sechstes Schlauchboot abgefangen, nicht jedoch gerettet, denn trotz mehrerer Versuche, die Aufmerksamkeit der Insassen auf sich zu ziehen, hat das Schlauchboot seine Reise allein fortgesetzt.

Ein Migrant mit einer akuten Bauchfellentzündung ist direkt auf das Mutterschiff der Mission „Eunavfor MED“, die „CAVOUR“ gebracht worden, wo er notoperiert wurde und dann in einem Helikopter der Polyambulanz von Lampedusa übergeben. Dessen Ansprechpartner, sowie Antonio Candela, Generaldirektor der Regionalen Gesundheitsbehörde (Azienda Sanitaria Provinciale) berichtet uns über einen allgemein guten Gesundheitszustand, insofern, als dass sich keine speziellen Fälle unter den Passagieren registrieren ließen. Man fand auch keine schweren Zeichen von Folterung oder Misshandlungen, wie es sonst oft passiert bei Passagieren aus Lybien. Die Migrant*innen seien, zum Glück, erst circa 24 Stunden auf dem Meer unterwegs gewesen. Dennoch werden einige bei ihrer Ankunft im Hafen von Palermo auf Liegen in die Notfallversorgung gebracht. An Bord der SIEM PILOT, so berichtet uns dessen norwegischer Verantwortlicher, werde eine erste medizinische Begutachtung vorgenommen, dann kämen die Polizisten, um die Migrant*innen zu befragen. In dringenden Fällen wende man sich an die Krankenschwestern an Bord.

Wir fragen den norwegischen Uffizier, ob man „mutmaßliche Schleuser“ ausfindig machen konnte. „Ja“. „Und wie viele?“. „Einige“, antwortet er mit einem leichten Lächeln. Im Video der Ankunft im Hafen von Palermo, veröffentlicht auf der Website der Zeitung „Giornale di Sicilia“, sieht man ein Grüppchen Migrant*innen, die von der Finanzaufsicht vom Steg des Schiffs bis zum Punkt, an dem erste Hilfsmittel verteilt werden, begleitet werden. Wir gehen davon aus, dass es sich um die „ausfindig gemachten“ Personen handelt, Schleuser und Zeug*innen, die dann zur Caritas von Palermo gebracht werden.

„Haben sich die Zustände geändert, seit das Hotspot-System in Kraft getreten ist?“. „Noch ist es zu früh, um diese Frage zu beantworten, wir müssen noch warten. In jedem Falle beeinträchtigt er unsere Arbeit nicht.“, antwortet uns der norwegische Offizielle. Warum die Zahlen der Ankünfte gestiegen seien führt er lediglich auf die Wetterbedingungen zurück, insoweit auch die Notrufe der Migrant*innen beim MRCC Rom (Maritime Rescue Coordination Centre) immer mit gutem Wetter steigen.

Wir verlassen den Hafen nach zwei Stunden, viele Menschen müssen noch von Bord gehen. Vor den Tischen der Mitarbeiter*innen der Polizei und von Frontex bleibt eine lange Schlange. Leider können wir uns dieser nicht nähern, um besser zu verstehen, was genau gefragt wird. Die ersten Busse fahren los. Uns wird gesagt, dass circa 200 Personen ins Cara di Mineo* gebracht werden, 20 werden bei der Caritas in Palermo bleiben, während 50 bis 70 Migrant*innen zur Caritas Monreale gehen werden. Es bleibt nur noch, zu verstehen, in welche Aufnahmezentren all diese erschöpften, unterkühlten und müden Menschen gehen werden.

Judith Gleitze
Borderline Sicilia/ borderline-europe

*CARA di Mineo - Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchendein Mineo

aus dem Italienischen von Sophia Bäurle