siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Freitag, 11. März 2016

Besuch in der ehemaligen Kaserne Gasparro in Bisconte, Messina


Am 7. März haben wir zusammen mit Aktivist*innen und dem Abgeordneten der Partei Movimento 5 Stelle Francesco D’Uva die ehemalige Kaserne Gasparro in Bisconte in der Provinz Messina besucht. Als wir gegen fünf Uhr nachmittags eintreffen, finden wir das von Sicherheitsbeamten bewachte Tor offen. Zu Beginn der Besichtigung haben wir beim Vertreter der Betreibergesellschaft (die Associazione ARCA in Trapani) allgemeine Informationen über die aktuell anwesenden Bewohner eingeholt. Insgesamt sind es 198 Männer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren aus Gambia, Mali, Nigeria und dem Senegal. 


Durchschnittlich bleiben die Bewohner*innen 30 Tage hier. Auf unsere Nachfrage über den juristischen Status des Zentrums hin erfahren wir, dass es ein Erstaufnahmezentrum ist, ein CPA*, in dem theoretisch ein Aufenthalt für die Identifikationsformalitäten von nicht länger als 72 Stunden vorgesehen ist.
Vor dem Eingang passieren wir zwei Toilettencontainer. Aus Respekt vor der Privatsphäre der Benutzer*innen betreten wir die Container nicht. Trotzdem sehen wir die kläglichen hygienischen Bedingungen – Wasser auf dem Boden und Gestank aus den Abflüssen.
Wir betreten nun einen der drei grossen Räume, aus denen die ehemalige Kaserne besteht: er misst 10x10 Meter und hat 28 Betten, davon sind einige Hochbetten und andere Einzelbetten. Der Raum scheint uns überbelegt. Aber die Situation ist in den anderen zwei Räumen noch prekärer. Hier sind 170 überwiegend Hochbetten auf einer Fläche von 10 x 18 Metern entlang der Wände und in der Mitte der Räume verteilt. Viele sind ohne Zwischenraum nebeneinandergestellt. Es herrscht ein unangenehmer Geruch und Privatsphäre ist hier nicht möglich.
Während unseres Rundganges sitzen einige der Bewohner*innen auf ihren Betten, andere schlafen. Einer, der den Zweck unseres Besuches erkannt hat, bittet uns, den Betreibern mitzuteilen, dass sie einen Italienischkurs in Gang bringen mögen, da er seit ca. einem Monat dort sei und immer noch nichts gelernt habe. Andere junge Bewohner halten sich im Gebetsraum auf und Einige spielen draußen Fußball.
Im Mensaraum sitzen Einige vor dem Fernseher. Für die große Zahl der Bewohner scheint dieser Raum eindeutig zu klein. Die Wartezeiten für die Bewirtung und für das Essen müssen lang sein!
Auch die Krankenbehandlungsräume machen keinen guten Eindruck. Es ist ein verlassener, unhygienisch wirkender Ort, der seiner Bestimmung keine Ehre macht. Überall liegen Medikamente herum. Der Verantwortliche des Zentrums erklärt uns, dass der Gesundheitsdienst in Abwechslung mit dem Pala Nebiolo jeden zweiten Tag von einem Arzt geleistet wird, der in stetem Kontakt mit der staatlichen Gesundheitsbehörde stehe und diese über die Anzahl von Konsultationen und die behandelten Krankheiten informiere. Regelmäßige Öffnungszeiten gibt es nicht, doch der Arzt untersuche alle, die sich einfinden, und bekommt von den Betreibern das Entgelt für die geleisteten Stunden.
Wir fahren fort mit unserem Rundgang und kommen an den hygienischen Einrichtungen im Inneren des Zentrums vorbei, die gerade gereinigt werden. Es sieht gut aus hier, aber für so viele Bewohner sind sie ungenügend. Zusammen mit den Außenanlagen sind es 10 WCs und 10 Waschbecken und Duschen.
Als wir nach einer Erklärung für die Überbelegung der Zimmer fragen, antwortet der Verantwortliche, dass die Präfektur jeden Monat Inspektionen diesbezüglich  durchführe. Die letzte habe am 21. Februar stattgefunden. Das bedeutet, dass den Kriterien des staatlichen Regionalbüros entsprechend die Lage im CPA den Standards für die menschenwürdige und die Gesundheit nicht beeinträchtigende Aufnahme von Asylsuchenden nachkommt. In der Konvention über die Vergabe der Betreuung von Flüchtlingen ist die Zahl von 200 Bewohner*innen für die ehemalige Kaserne in Bisconte und 250 für Pala Nebiolo vorgesehen.
Es fällt demnach schwer, die Bedeutung des Zwischensatzes in der Ausschreibung der Präfektur von Messina zu verstehen. Dort wird, was die maximale Kapazität der Aufnahmestrukturen betrifft, hervorgehoben, dass die Höchstgrenze „angesichts der Notwendigkeit, einheitliche Standards und Vorgaben der  Aufnahmeregelungen" gewährt werden muss. 
In der ehemaligen Kaserne Bisconte, die den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend nur für den Transitaufenthalt der Migrant*innen bestimmt wäre, sind die garantierten Dienstleistungen aufs allernotwendigste begrenzt. Das Team ist sowohl für Pala Nebiolo als auch für die ehemalige Kaserne in Bisconte zuständig. Sie besteht aus zwei Angestellten/ kulturellen, sprachlichen Mediator*innen, einer Psychologin, einer Italienischlehrerin und einer Sozialarbeiterin, die somit für 450 Leute zuständig sind.
Laut des Verantwortlichen ist auch ein Rechtsberater Teil des Teams. Er sollte den Geflüchteten rechtliche Informationen innerhalb der ersten 48 Stunden ihres Aufenthalts liefern. Hierzu wollen wir daran erinnern, dass die Aussagen der Geflüchteten vom 30. Januar dieses Jahres vor dem Pala Nebiolo ganz anders lauteten. Keiner von ihnen hat je eine Rechtsberatung erhalten, auch die nicht, welche sich seit mehr als einem Monat in der Zeltstadt aufhielten.
Auch die Organisation des Italienischkurses scheint unklar. Damit ist eine freiwillige Lehrkraft betraut, die zwischen den beiden Zentren pendelt, wann es die Zeit ihr erlaubt.
Die baulichen Eigenschaften und der Mangel an Dienstleistungen, die dieses Aufnahmezentrum charakterisieren, zeichnen das Bild einer von Einsparungen geprägten Asylpolitik. Dies tritt nicht nur in der Missachtung der geltenden Gesetze und der Menschenwürde auf. Diese Asylpolitik hat vor allem gravierende Konsequenzen für das Leben der Migrant*innen.
In diesem Zusammenhang wird auch die besorgniserregende Situation der 20 Asylsuchenden deutlich, die mit den Behörden bei den Ermittlungen zusammengearbeitet haben, um Schlepper beim Landgang zu identifizieren. Sie befinden sich seit Monaten im Zentrum, und sind noch immer nicht vom verantwortlichen Richter angehört worden. Anstatt diesen Personen Schutz zu gewähren, wie es das Gesetz vorsieht, werden sie dazu verurteilt, sehr lange Zeit in diesem Nicht-Ort zu verbleiben und sind dort vollkommen sich selbst überlassen.
Der schlimmste Fall ist der eines Zeugen, der sich seit 7 Monaten in der Einrichtung befindet. Er wurde noch nicht vom Richter angehört, er weiß darum nicht, wie lange er noch für den Transfer in ein Aufnahmezentrum warten muss. Als wir fragen, wie oft er den Richter gesehen habe, sagt er: "Nie."
Diese zwanzig Migrant*innen sind die einzigen, die ihren Antrag auf internationalen Schutz formal eingereicht haben. Alle anderen werden das Verfahren erst in den nächsten Aufnahmezentren einleiten können. So wirkt sich die Verlängerung der Erstaufnahme negativ auf die Möglichkeit aus, sofort Asyl zu beantragen - was wiederum zur Folge hat, dass die Anhörung vor der Regionalkommission ebenso verzögert wird.
Nun wollen wir wissen, wo und wie alle diese Personen identifiziert werden: Alle Identifikationen finden bei der Ankunft im Immigrationsbüro der Präfektur statt, das im Pala Nebiolo selbst eingerichtet ist. Erst nach und nach werden die Migrant*innen in die ehemalige Kaserne in Bisconte versetzt. Als wir wissen wollen, was die Konsequenzen sind für die, die sich weigern, die Fingerabdrücke nehmen zu lassen, erhalten wir eine klare Antwort: "Niemand verlässt das Pala Nebiolo, ohne die Fingerabdrücke abgegeben zu haben." Was der Ablauf dieser Maßnahme betrifft, verweisen wir auf unseren Bericht vom 30. Januar dieses Jahres.
Es ist uns ein Anliegen, auf einen weiteren kritischen Punkt hinzuweisen, der das Aufnahmezentrum in der ehemaligen Kaserne in Bisconte betrifft. Wir haben darüber bereits in unserem Bericht über den Besuch in der Casa – Albergo Sant'Alessio geschrieben, ein Zentrum für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, das letzten Oktober eröffnet wurde.
Wir wissen mit Bestimmtheit, dass in Bisconte vor Kurzem volljährig gewordene Migrant*innen untergebracht werden, die vorher einige Monate in Institutionen für Minderjährige verbracht haben. Sie verlassen also die Aufnahmezentren und werden in die Erstaufnahmezentren "zurück" versetzt. Wir können diese Praxis mit Sicherheit bestätigen, denn wir haben den Weg einiger von ihnen mitverfolgen können. Am 13. Oktober haben wir sie in der Turnhalle Gravitelli gesehen. Letzten Monat waren sie in der Gemeinschaft für Menschen mit Behinderung und SeniorInnen Sant'Alessio. Dorthin wurden sie kurz nach der Veröffentlichung unserer Pressemitteilung vom Oktober gebracht. Und nun sind sie am 7. März wieder hier in Bisconte.
Unter ihnen war einer, der uns wiedererkannt hat. Wir sind uns vor einem Monat in Villa Solaria begegnet, wo er 7 Monate verbracht hat, bevor er einen Tag nach seiner Volljährigkeit in die ehemalige Kaserne Bisconte zurückgebracht wurde. Er meint: "Jetzt bin ich hier weil "Bambino finito - Kind vorbei". Er fühlt sich nicht wohl hier und kann auch nicht mehr in die Schule, die er vorher täglich besucht hat.
Am Ende unseres Besuches hat der Abgeordnete D'Uva die Präfektur kontaktiert um zu erfahren, wie es mit der ehemaligen Kaserne Gasparro weitergehe. Einerseits wurde die Nachricht dementiert, dass dort ein Hotspot eingerichtet werde, andererseits hört er von der Vergrößerung der Einrichtung zwecks der Planung eines Super-Hubs.

Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia Onlus

*C.P.A. Centro prima Accoglienza: Erstaufnahmezentrum



Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne