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Mittwoch, 10. Dezember 2014

„Mafiacapitale“ und CARA von Mineo: Wann wird es Würde und Gerechtigkeit für Asylbewerber geben?

Seit Tagen überschatten die Ermittlungen über die „Mafiacapitale“ (Mafiahauptstadt, so genannt wegen der Ermittlungen über die Korruption in Rom) die Sammelunterkunft für Asylsuchende von Mineo, im folgenden CARA, sowie die in Bezug auf die Migranten katastrophale Verwaltung von umfangreichen öffentlichen Mitteln hinsichtlich des  Megabusiness der Pseudoaufnahme (so das von uns seit März 2011 bezeichnete Versuchslabor der neuen gespaltenen Politik für die Asylsuchende). Seit dem Zeitpunkt hat sich nichts geändert: Seit Anfang 2013 hat sich die Präsenz der Asylsuchenden in der Mega-CARA mehr als verdoppelt - von  1800/2000 auf derzeit 4500-  während die Kommissionen zur Überprüfung der Asylanträge die Anhörungen auf die Hälfte gekürzt haben.
In den ersten Jahren waren die Proteste der Migranten zahlreich und leider auch die Suizidversuche. Dank der soliden Beziehungen zu den örtlichen Institutionen und den Regierungen der großen Koalition haben es die Betreiber der CARA seit Ende des letzten Jahres versucht, ihrer “humanitären Mission” einen Neuanstrich zu geben. Die Schande der Genossenschaft Sisifo auf Lampedusa, die nach der Tragödie des 3. Oktobers Migranten in der CPSA (Not- und Erstaufnahmeeinrichtung) mit Nazimethoden aufgenommen hat, hat nicht ausgereicht. Gerade im letzten Dezember hat der Bürgermeister Bianco im Montecitorio, dem Abgeordnetenhaus der italienischen Regierung in Rom, den Film “Io sono io e tu sei tu” (Ich bin ich und du bist du) vorgestellt. Es handelt sich um ein demagogisches Mittel, um die CARA von  Mineo als Paradies für die Aufnahme auf Erden darzustellen. Kurz danach hat sich leider der 21-jährige Eritreer MULUE GHIRMAY am 14.Dezember in der CARA erhängt. Am 19.12. haben ebenfalls tausende von Asylsuchenden entlang der Bundesstraße von Catania und Gela protestiert. Sie haben an der Ortseinfahrt von Palagonia die Polizeigewalt zu spüren bekommen, als sie die Gründe für die Proteste publik machen wollten.

Das Odevaine-System* in der CARA von Mineo hat es ermöglicht, die Kontrollierten mit den Kontrollierenden im Einklang zu bringen und eine Vetternwirtschaft zu konsolidieren, die alle zufrieden stellt, von den Institutionen bis zu den Medien, von den Gewerkschaften zu dem Vereinswesen. Leider haben sich die Lebensbedingungen für die Mehrheit der Asylsuchenden progressiv verschlechtert: Die Häuser werden durchschnittlich von 20 Personen bewohnt (im Vergleich dazu: Die US-Soldaten von Sigonella lebten dort mit jeweils einer Familie). Die elenden Bedingungen - es werden 2,50 Euro an Taschengeld in Form von Zigaretten ausgeteilt - zwingen viele Migranten, für 10/15 Euro am Tag auf den Feldern schwarz zu arbeiten. Auch die Prostitution und der Drogenhandel verbreiten sich. Warum schlucken die Medien bisher die von den makellosen Betreibern gelieferten,  beruhigenden Versionen?
Wir appellieren am ersten Jahrestag des Suizids von Mulue Ghirmay daran, die CARA von Mineo zu schließen. Als Alternative hierzu sollte das SPRAR (System zum Schutz der Asylbewerber und Flüchtlinge) durch kleinere oder mittelgroße Einrichtungen vervielfacht werden. Damit kann die tatsächliche soziale Eingliederung - dem Beispiel der Gemeinden von Riace im Gebiet von Locride folgend - ermöglicht werden. Die Kosten hierfür wären niedriger und die Bedingungen humaner. Wir erachten es als wichtig, das „System“ Mineo zu überwinden und die Menschen zu verlegen. Die Zeiten des gesetzlich vorgesehenen Aufenthalts (35 Tage für die Asylverfahren) sind zu berücksichtigen, die Asylkommissionen sind aufzustocken. Diese Mega-CARA, einzigartig in ganz Europa, ist ein gescheitertes Modell der zwangsweisen Unterbringung von Migranten, die auf unbefristete Dauer dort abgestellt werden (durchschnittlich 18 Monate), und einen Rassenkonflikt zwischen der Bevölkerung und der Migranten aufkommen lässt: Einerseits werden die Asylsuchenden von den Vorarbeitern auf den Feldern bodenlos ausgenutzt und andererseits fördert die fremdenfeindliche Rechte im Gebiet Calatino den Krieg zwischen den Armen, während sich die faschistischen Mafiosi in der „Mafiacapitale“ auf unsere Kosten bereichert haben.

Rete Antirazzista Catanese


Aus dem Italienischen von Thanh Lan Nguyen-Gatti

* Luca Odevaine, Koordinator der Aufnahme von Asylsuchenden für das Innenministerium, derzeit unter Betrugsanklage