siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Mittwoch, 1. Oktober 2014

Tagebuch auf Lampedusa[InFestival]: Solidarität muss praktisch werden


Präsentation des Alarmnetzwerkes
Das letzte und Abschlusspodium zur VI Edition des Filmfestivals „LampedusaInFestival“ diskutierte am Dienstagabend noch einmal in internationaler Runde, wie Solidarität in die Praxis umgesetzt werden kann, sprich, wie wir Aktivist_innen und die Zivilgesellschaft zusätzlich aktiv werden können, abgesehen von Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen mit Migrant_innen und Geflüchteten.




Alternatives Alarmnetzwerk


Das erste Projekt, dass sich mit praktischer Hilfe und Unterstützung für Geflüchtete beschäftigt und an diesem Abend vorgestellt wurde, war das „Alternative Alarmnetzwerk“, präsentiert von Judith Gleitze von borderline-europe/Borderline Sicilia. Das Alternative Alarmnetzwerk möchte eine Not-Hotline werden, an der sich verschiedene NGO’s und die Zivilgesellschaft beteiligen können. Am 11. Oktober 2013, kurz nach dem Unglück vom 3. Oktober 2013, spielte sich eine weitere Tragödie auf dem Mittelmeer, an der Grenze zu Europa ab. Ein Flüchtlingsboot mit über 400 Menschen an Bord gerät in Seenot. Obwohl die Menschen an Bord mehrere Notrufe an die Küstenwache von Italien und Malta absenden, erreichen Rettungskräfte die Unglücksstelle erst nachdem das Boot schon eine Stunde gesunken war. Mindestens 200 Menschen mussten deswegen sterben, nur 212 Menschen konnten noch gerettet werden. Die Notrufe der Geflüchteten wurden nicht ernst genommen. Was wäre aber gewesen, hätten die Geflüchteten zusätzlich eine Not-Hotline, die von der Zivilgesellschaft betrieben wird, anrufen können. So dass daraufhin die Zivilgesellschaft bei der Küstenwache hätte anrufen können und Druck auf die Behörden und die Politik hätte ausüben können? Damit die Zivilgesellschaft nicht erst handeln kann, wenn Schiffe bereits untergegangen und Menschen bereits gestorben sind, möchte das Alternative Alarmnetzwerk in Echtzeit helfen und so versuchen den Tot von Geflüchteten auf dem Weg nach Europa zu verhindern. Im AUFRUF für das Alternative Alarmnetzwerk befindet sich eine genaue Beschreibung des Projekts und wie dessen Umsetzung in die Praxis funktioniert.

„Ein solches alternatives Alarm-Netzwerk wäre nur ein erster aber dringend notwendiger Schritt auf dem Weg zu einem euro-mediterranen Raum, der nicht von einem tödlichen Grenzregime geprägt ist sondern von Solidarität und dem Recht auf Schutz und dem Recht auf Bewegungsfreiheit.“


CUCULA – designed by Enzo Mari made by Refugees


Ein weiteres spannendes Projekt ist CUCULA, ein Projekt von Designer_innen, kreativen und aktiven Menschen aus Berlin in Zusammenarbeit mit Geflüchteten der Berliner Oranienplatz-Bewegung. Mit ihrer Designfirma möchten die Menschen von CUCULA Geld verdienen, indem sie Möbel zum Verkauf herstellen, das wiederum in ihr Bildungsprogramm für Geflüchtete fließt. CUCULA ist also eine Non-Profit-Organisation, die zwar Geld mit ihren Erzeugnissen verdient, sich daran aber nicht selbst bereichert, sondern das erwirtschaftete Geld in ihre Bildungsprojekte (z.B. Sprachkurse) reinvestiert und somit unabhängig arbeiten kann. Die Aktivistin Corinna Sy ist Designerin und Mitbegründerin des Projekts. Bei ihrem Engagement auf dem Berliner O-Platz habe sie in Gesprächen mit Geflüchteten mitbekommen, dass es für die Menschen besonders wichtig ist zu arbeiten, einen Job zu haben, eine Beschäftigung, ganz praktisch aktiv werden zu können. Viele der Geflüchteten sind handwerklich begabt und so kam die Idee auf eine Firma zu gründen, die Möbel herstellt, die mensch im Alltag nutzen kann – einfach etwas Praktisches herstellen. Mit dem Geld der verkauften Möbel, so die Idee, könnte man dann in ein Bildungsprogramm für Geflüchtete investieren, Sprachkurse und Weiteres anbieten. Mittlerweile hat die Initiative die exklusiven Rechte an den Entwürfen des bekannten italienischen Möbeldesigners Enzo Mari, der die Idee der Initiator_innen CUCULA’s so gut fand, dass er deren Ambitionen damit unterstützten wollte.
Initiator_innen von CUCULA

Bis jetzt sind fünf Männer vom Oranienplatz an der Initiative beteiligt und stellen die Möbel – „designed by Enzo Mari made by refugees“ – her. In den 70er Jahren entwarf Enzo Mari ganz einfache Konzepte von Möbeln, die leicht nachzubauen sind, um sich damit für Empowerment (Ermächtigung) und DIY (do it yourself) einzusetzen. Genau darum geht es auch bei CUCULA: Empowerment- und DIY-Aktivismus.


Lampedusa in Hamburg – Widerstand, Erfahrungen und Aktivismus


Auch Asuquo Okou Udo, der Sprecher der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ war Teil der VI Edition des Filmfestival „LampedusaInFestival“ 2014. In seinem Vortrag am Dienstagabend spricht er über Widerstand, seine persönlichen Erfahrungen in Europa und über sein Leben als politischer Aktivist in Hamburg.

Er selbst sei 2011 auf Lampedusa angekommen, beginnt Asuquo Okou Udo seinen Vortrag. Er sei also dieses Jahr das zweite Mal auf dieser Insel. Diesmal in einer ganz anderen Rolle. In Nigeria war er Journalist. Als er in Europa, auf Lampedusa ankam war er plötzlich „Flüchtling“ – das wäre nie sein Traum gewesen. Seine Reise geht von Lampedusa, durch Europa und Deutschland bis nach Hamburg. Dort vor etwa zwei Jahren angekommen, schließt er sich der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ an. Die Repressionen in Deutschland wollte er sich nicht gefallen lassen. Widerstand zu leisten sei wichtig für ihn aber es sei auch nicht einfach. „Das Gesetz ist gegen uns“, sagt er. Mit den Protesten in Hamburg möchte die Aktivist_innen-Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ die Mauer zwischen Geflüchteten und Politiker_innen zerstören. „Wir sind keine Kriminellen“, betont Asuquo Okou Udo, „wir sind Menschen und wir können arbeiten.“ Allerdings werden Geflüchtete u.a. aufgrund der Dublin-VO stigmatisiert, sind rechtlos in Deutschland, haben weder das Recht auf Wohnen, noch auf Arbeit. „Mit „Lampedusa in Hamburg“ haben wir ein politisches Symbol etabliert“, das sei ihm besonders wichtig. Der Widerstand ginge weiter und es gäbe viele Unterstützer_innen und großen Support aus der Hamburger Zivilgesellschaft. Über seine Erfahrungen in Europa sagt er nur, es sei schwer als „Ausländer“ in Europa. „Du fühlst dich ausgeschlossen, du wirst diskriminiert, rassistisch angegriffen außerdem lebst du isoliert.“ Als Aktivist kämpft er jeden Tag. Aber dieser Kampf sei wichtig. Es sei wichtig aktiv zu werden. Die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ plant viele Veranstaltungen und ist tatsächlich ein politisches Symbol in Hamburg, in Deutschland und darüber hinaus geworden.



Asuquo Okou Udo von "Lampedusa in Hamburg"
Die nächste Veranstaltung findet am 10. und 11. Oktober 2014 in Hamburg statt: „Der Emancipation Day 2014 zeigt den andauernden Protest und Kampf der Bewegung und symbolisiert die Entschlossenheit der Lampedusa-Flüchtlinge aus dem NATO-Krieg 2011 in Libyen sich selbst von Unterdrückung, Diskriminierung und Ausbeutung zu befreien.“

Es gibt selbst organisierte Konzerte, Theater, Ausstellungen, Diskussionen, Workshops und Debatten. „Damit kämpfen wir auch gegen koloniale Bevormundung von Außen“, sagt Asuquo Okou Udo, „indem wir selbst, als Gruppe, Veranstaltungen planen und durchführen.“


Autonome Schule Zürich – „Solidarität muss praktisch werden“



Aktivist_innen der Autonomen Schule Zürich
Diesen Leitspruch hat die Autonome Schule Zürich (ASZ) mehr als verinnerlicht. Seit 2009 kämpfen die Aktivist_innen der ASZ für: ein Bleiberecht für Alle, Recht auf Arbeit, Recht auf Wohnen und das Recht zu heiraten. 2009 beginnt ihr Kampf, als die Schweizerische Politik damit anfängt Geflüchteten und Asylbewerber_innen sämtliche soziale Rechte zu entziehen. Begonnen hat ihr Kampf mit 30 Personen, mittlerweile sind 300 Menschen Teil der Schule. In fünf Jahren ist die ASZ 14 Mal umgezogen, wurde 14 Mal von der Polizei aus besetzten Gebäuden geräumt. Die ASZ ist ein Ort der Begegnung, des Austauschs, des Lernens und der Zusammenarbeit. In der ASZ gilt:

„Wer hier ist, ist auch von hier!“


Mittlerweile gibt es 86 Moderator_innen (das Wort Lehrer_innen wollen sie damit umgehen), die diverse Kurse für Geflüchtete aber auch darüber hinaus für interessierte Menschen anbieten. „Die ASZ ist ein Ort für Menschen aus der ganzen Welt“, so die Refrent_innen auf Lampedusa. Es ginge darum zusammen zu lernen, mit- und voneinander. In der ASZ treffen sich Geflüchtete, Asylbewerber_innen, Menschen mit Aufenthaltsstatus, Schweizer_innen, Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern und Viele mehr. Es gibt verschiedene Arbeitsgruppen, die über das bloße Angebot von Sprachkursen (in diversen Sprachen, z.B. Kurdisch, Englisch, Mandarin) weit hinaus gehen. Es gibt eine Computergruppe, es gibt verschiedene Sportangebote, es gibt jeden Freitagabend eine Kinovorstellung, es gibt eine Bibliotheksgruppe, eine Gruppe, die das Gemeinschaftsleben organisiert, eine Rechtshilfegruppe, Öffentlichkeitsarbeit etc. Mit der Zeitung, die die ASZ mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren zweimal im Jahr herausbringt, betreibt die autonome Schule Diskursarbeit und begreift ihre Zeitung als Emanzipation gegen den öffentlichen, meist stigmatisierenden Diskurs, gegen Migrant_innen. Darüber hinaus will die ASZ mit Demonstrationen, Besetzungen und Performances den „Staat stressen“. Die ASZ kämpft außerdem gegen die aggressive Polizei in Zürich und in der Schweiz allgemein, vor allem gegen das rassistische „Racial Profiling“.


Verbunden mit ihrem Kampf für die Rechte von Migrant_innen in der Schweiz kämpft die ASZ auch gegen die Gentrifizierung und ist Teil des Bündnisses „Wem gehört Zürich?“, im Zuge des Bündnisses „Wem gehört die Stadt?“


Bildung kann niemals neutral sein. Entweder ist sie ein Instrument zur Befreiung des Menschen, oder sie ist ein Instrument seiner Domestizierung, seiner Abrichtung für die Unterdrückung.“ (Paulo Freire) – so der Leitspruch der autonomen Schule in Zürich.



Die letzte Podiumsdiskussion um die Frage, wie Solidarität in die Praxis umgesetzt werden kann, war ein positiver und ermutigender Abschluss für das Festival und ein Empowerment-Prozess an sich, darüber hinaus eine Abschlussdiskussion die Perspektiven und Ansätze bot für den weiteren gemeinsamen Kampf für ein menschenwürdiges Leben für Alle und den Kampf gegen das Grenzregime Europas. 


Das Ende von „LampedusaInFestival“ bildete damit nur eine weitere Kreuzung auf dem Weg des Kampfes gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung von Migrant_innen, eine weitere Kreuzung auf dem Weg des Kampfes gegen Rassismus und tödliche Grenzen, auf dem Weg zum Ziel der Bewegungsfreiheit für alle Menschen.



Text und Fotos: Alexa Magsaam // borderline-europe