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Sonntag, 27. November 2011

„Salinagrande ist die Hölle“. EU – Delegation ist geschockt von dem Aufnahmelager in Trapani

Heruntergekommene Bäder mit kalten Duschen, keine medizinische Versorgung, Zerrissene Kleidung. So leben die Asylbewerber, darunter Frauen und Kinder in der Einrichtung, die vom Innenminister als Aushängeschild bezeichnet wurde. Der zusammengefasste Bericht von Rosario Crocetta und Rita Borsellino, die das Lager als Europaabgeordnete der Kommission für bürgerliche Freiheit besucht haben.
Heruntergekommene Bäder ohne Türen, Betten, die eher einer improvisierten Lagerstätte ähneln, keine Decken und fadenscheinige Bettlaken, mangelhafte medizinische Versorgung, keine Heizung und Duschen mit lediglich eiskaltem Wasser. Unter diesen demütigen Bedingungen müssen hunderte von Staatsbürgern ausharren, die aus ihrem Heimatland geflohen sind und auf die Anerkennung als politische Flüchtlinge warten. Ein Warten, das oft über Jahre andauern kann.

Das ist das Szenario, das sich der Kommission für bürgerliche Freiheit, Justiz und Innere Angelegenheiten des europäischen Parlaments präsentierte, als sie im Aufnahmezentrum für Asylsuchende von Salinagrande in der Region Trapani ankamen. Das Zentrum, das vom Innenminister seit jeher als Aushängeschild bezeichnet wird. Die Delegation reist bereits seit drei Tagen durch Sizilien, um den Stand der italienischen Migrationspolitik zu analysieren. Die dreißig Delegierten, angeführt von der schwedischen Europarlamentarierin Cecilia Wikstrom, haben verschiedene Aufnahmelager auf der ganzen Insel besucht, und gerade Salinagrande hat den schlechtesten Eindruck hinterlassen.

„Es ist wahrhaftig der Abgrund der Hölle, ein Gefangenenlager“, lautet der lapidare Kommentar des Europaparlamentariers Rosario Crocetta von der Demokratischen Partei, der Mitglied der Delegation ist. „Ich bin auf Lampedusa gewesen – erzählte der ehemalige Bürgermeister von Gela – aber dort war die Situation viel besser. Wenigstens hatten die Bäder eine Tür. Hier hingegen leben 250 Personen unter unmenschlichen Bedingungen. Ohne Decken und mit verdreckten Bettlaken. Sie hatten nicht einmal Kleidungsstücke, die diesen Namen verdient hätte. Wir haben gefragt, warum die Bewohner keine anständiger Kleidung tragen würden, und sie haben uns geantwortet, dass das Lager alle mit einem Trainingsanzug ausgestattet hätte; aber das ist eine Lüge. Ich habe nur einen einzigen Bewohner damit gesehen, viele waren in Lumpen gekleidet.“

Das Aufnahmezentrum für Asylsuchende von Salinagrande, 2005 offiziell eröffnet, ist mit seinen 260 Plätzen eines der größten Aufnahmezentren in ganz Süditalien. Seit vergangenem August wird es von der Kooperative Badia Grande aus Trapani verwaltet, die der Caritas nahe steht. In der Vergangenheit hat diese Kooperative auch die Zeltstadt von Kinisa verwaltet. Strategisch nur wenige Kilometer von der tunesischen Küste entfernt positioniert, ist es oft als ein ausgezeichnetes Zentrum beschrieben worden, wo die Migranten sogar Italienisch lernen könnten. Trotz allem sind die Szenen, die die EU-Delegierten gesehen haben, weit  entfernt von jeglichen hochgelobten Standards. Und auch von der Menschenwürde.

„Sie haben es uns als ein Lager der Zukunft präsentiert, wo die Gäste auch unsere Sprache lernen – fährt Crocetta fort - Aber kaum waren wir in die Schlafräume eingetreten, haben wir die Hölle gesehen. In einem Zimmer lagen einige kranke Gäste. In der Mitte ein großer Kübel, um das durchsickernde Wasser aufzufangen. Ein junger Pakistani hatte eine gebrochene Hand: Er sagte, dass er sie sich im Oktober gebrochen habe. Sie hätten sie noch nicht  eingegipst, weil er nur am 29. November eine Röntgenaufnahme machen könne: Mehr als einen Monat danach. Aber in der Zwischenzeit hat sich der Bruch offensichtlich für immer verkalkt. Eine Behandlung, von der ich glaube, dass die Angestellten des Lagers sie nicht einmal ihren Haustieren zumuten würden. Hier sprechen wir von menschlichen Wesen.“

Auch der Bericht der Delegationsleiterin Cecilia Wikstrom ist dramatisch. „In Salinagrande ist das Wasser der Duschen kalt, in den Bädern gibt es keine Türen, es fehlt der Abfluss und die Schlafräume sind überfüllt. Unter diesen Bedingungen ist es wirklich schwierig, die menschliche Würde zu wahren. Dort – so hat die schwedische Europaabgeordnete erklärt – gibt es Menschen ohne Hoffnung, ganze Familien mit kleinsten Kindern. Es ist wichtig ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen.“

Auf gleiche Ebene argumentiert auch Rita Borsellino, nach der es „nicht akzeptabel ist, dass es auf Sizilien ein Lager geben kann wie das von Salinagrande bei Trapani, oder dass hunderte von Menschen für Monate in unsäglichen Zuständen belassen werden, wie es auch in Mineo passiert ist. Man muss das bürokratische Gestrüpp angreifen, weil es unakzeptabel ist, dass es Asylbewerber gibt, die sich seit sechs und manchmal auch seit acht Monaten in den Lagern befinden. Männer, Frauen und so viele Kinder, ganze Familien warten über Monate darauf, etwas über ihr Schicksal zu erfahren - mit ihren Leben in der Warteschleife. Verwüstete oder baufällige Lager wie Salingrande müssen renoviert oder endgültig geschlossen werden, fuhr die Europaabgeordnete der Demokratischen Partei fort.

Die beklagenswerten hygienisch-sanitären Bedingungen, unter denen die Bewohner von Salinagrande gezwungen sind zu leben, haben in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass sie ihren Unmut zum Ausdruck bringen. „Es ist absolut normal, erklärte Crocetta, dass die Leute, wenn man sie so behandelt, am Ende explodieren. Gerade darum sind wir darauf aus, in dieser Angelegenheit vorwärts zu kommen, unter anderem mit einem Bericht an die Staatsanwaltschaft der Republik, um den Ernst der Situation deutlich zu machen.


Von Giuseppe Pipitone für die Tageszeitung "Il fatto quotidiano"
aus dem Italienischen von Rainer Grüber